Abstimmung über besseren Schutz für Homosexuelle: Das neue Gesetz soll Suizidgedanken verscheuchen
Vor allem die Angst vor negativen Reaktionen aus dem persönlichen Umfeld schlägt sich negativ auf die psychische Gesundheit von Homosexuellen nieder.
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Aus Sicht der Befürworter betreibt das Volk Prävention, wenn es am 9. Februar die Ausdehnung der Antirassismusstrafnorm auf die sexuelle Orientierung gutheisst. Prävention gegen die höhere Suizidalität von Schwulen, *****n und Bisexuellen. Unter Suizidalität versteht man Suizidgedanken, Suizidpläne und letztlich Zahlreiche internationale und nationale Erhebungen zeigen, dass Schwule, *****n und Bisexuelle suizidgefährdeter sind und stärker an psychischen Krankheiten wie Depressionen oder Angstzuständen leiden als Heterosexuelle. Im jungen Alter akzentuiert sich die Verletzlichkeit – ausgerechnet in der Zeit, in der die meisten ihr Coming-out (im Durchschnitt mit 17 Jahren) haben.
Michael Häusermann leitete bei einer Genfer Homosexuellenorganisation das Projekt «schwule Gesundheit». In einem Papier fasste er die wichtigsten Ergebnisse zur Situation von Jugendlichen in der Schweiz zusammen. Sie zeigen:
Jugendliche schwule und bisexuelle Männer sind einem zwei- bis fünfmal so hohen Suizidrisiko ausgesetzt wie jugendliche heterosexuelle Männer.
Jugendliche lesbische Frauen sind einem zwei bis viermal so hohen Suizidrisiko ausgesetzt wie jugendliche heterosexuelle Frauen.
Die Hälfte aller Suizidversuche von Schwulen wurden vor dem 20. Altersjahr verübt.
Angst vor Ablehnung im eigenen Umfeld
Ähnliche Befunde liefert eine Untersuchung, für die Studenten der Universität Bern 615 homo- und bisexuelle Männer und Frauen befragt haben. 65 Prozent berichteten, in ihrem Leben schon einmal Suizidgedanken gehegt zu haben, 44 Prozent schmiedeten Suizidpläne, 14 Prozent machten einen Versuch. Jüngere Personen wiesen höhere Werte auf.
Wer seine sexuelle Orientierung selber als negativ bewertet, leidet stärker darunter. Die Angst, von der eigenen Familie abgelehnt zu werden und deren Erwartungen zu enttäuschen, ist gemäss der Befragung von Genfer Homosexuellen die häufigste Ursache für einen Suizidversuch. Homo- und Bisexuelle, die von ihrer Familie und dem sozialen Umfeld Support erfahren, sind deutlich weniger suizidgefährdet.
Michel Rudin, Co-Präsident des Schwulenverbandes Pink Cross, sagt: «Mit dem Schutzgesetz wird klar die gesellschaftliche Homophobie bekämpft und somit etwas gegen die viel zu hohe Suizidalitätsrate von homo- und bisexuellen Menschen getan.» Auch Muriel Waeger, Geschäftsleiterin der *****norganisation Schweiz in der Romandie, ist überzeugt, dass das Antidiskriminierungsgesetz die Problematik entschärft:
«Mit dem Antidiskriminierungsgesetz sendet der Staat das Signal aus, dass Homophobie nicht toleriert wird. Dass Homosexualität normal ist, Hass und Hetze dagegen aber nicht.»
Denn: Flächendeckend akzeptiert die Gesellschaft nicht alle sexuellen Orientierungen. Gemäss einer aktuellen Umfrage der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften halten 10,8 Prozent aller Erwachsenen in der Schweiz Homosexualität für unmoralisch. 23,3 Prozent finden es eklig, wenn sich Homosexuelle in der Öffentlichkeit küssen. Männer, Personen mit tieferer Bildung und Migranten, vor allem aus Süd- und Osteuropa tendieren gemäss der Studie stärker zu Homophobie.
Die erhöhte Suizidalität bei Homo- und Bisexuellen geht einher mit einem höheren Suchtmittelkonsum. Ein Bericht der Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz offenbart, dass *****n mehr rauchen und sich fast dreimal so oft betrinken im Vergleich zu allen Frauen. Sie konsumieren deutlich häufiger illegale Drogen wie Cannabis, oder Kokain. Bei den jungen Männern zeigen sich beim Rauchen, Trinken und Kiffen keine derart grossen Unterschiede. Ins Auge sticht, dass schwule Männer dreimal so oft zu Kokain greifen wie ihre heterosexuellen Alterskollegen.
Für die Genfer SP-Nationalrätin Laurence Fehlmann-Rielle ist klar, dass die neue Strafnorm das Potenzial hat, die Gesundheit vor allem der jugendlichen homo- und bisexuellen Menschen zu verbessern. «Sie werden in einem Alter mit homophoben Äusserungen konfrontiert, in dem sie besonders verletzlich sind», sagt die Präsidentin der nationalrätlichen Rechtskommission. Mit dem neuen Gesetz könne man zum Beispiel nicht mehr ohne Folgen Hassbotschaften in sozialen Medien verbreiten. Fehlmann hält den Antidiskriminierungsartikel für ein wichtiges Element im Kampf gegen Homophobie. Sie sieht aber zum Beispiel auch Schulen in der Pflicht, präventiv zu wirken.
Gegnerkomitee hält Strafrecht für untaugliches Mittel
Silvan Amberg, Co-Präsident des LGBTI-Komitees «Sonderrechte Nein», erachtet das Strafrecht nicht als taugliches Instrument zur Gesundheitsprävention. «Das grösste Problem ist, wenn jemand Ablehnung aus dem persönlichen Umfeld erfährt. Gegen diese Mikrodiskriminierung ist das Strafrecht machtlos», sagt er. Selbstverständlich würden öffentlich zum Teil haarsträubende Aussagen verbreitet. Viel wichtiger als eine Strafanzeige sei, dass die Gesellschaft Homophobie nicht toleriere. Amberg beurteilt das Klima nicht nur in dieser Hinsicht positiv. Forderungen wie die Ehe für alle oder die Adoption von Kindern durch Homosexuelle gewännen rasant an Akzeptanz. «Das ist viel relevanter als eine neue Strafnorm, die einen kontroversen Dialog und kritische Meinungen zu unterdrücken droht.»
Ständerat Andrea Caroni (FDP, AR), Mitglied des Komitees «Sonderrechte Nein», kann nachvollziehen, dass sich Homo- und Bisexuelle wegen öffentlicher Beleidigungen verletzt fühlen. Er sagt aber:
«Dumme Aussagen kontert man mit gescheiten Argumenten und nicht mit dem Strafrecht.»
Caroni plädiert dafür, die Akzeptanz der sexuellen Orientierung im unmittelbaren sozialen Umfeld zu fördern. Und meint deshalb: «Die Eltern und die Schule tragen dabei die grösste Verantwortung.»
Antirassismusgesetz: In zwei Drittel der Fälle kommt es zu einer Verurteilung
Schränkt die Ausdehnung des Diskriminierungsschutzes auf die
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