Müssen doch mal raus an die Sonne»: Weshalb Ostschweizer am See oder im Alpstein flanierten statt im Hausarrest waren +++ 120 Ordnungsbussen allein in St.Gallen +++ 250 Polizeieinsätze in der Ostschweiz
Dem Lockruf der Sonne trotzen oder das Frühlingsfeuerwerk draussen geniessen? Viele Ostschweizerinnen und Ostschweizer konnten nicht widerstehen.
Noemi Heule, Raphael Rohner, Ida Sandl
05.04.2020, 16.18 Uhr
Die Polizei markiert Präsenz an der Rorschacher Seepromenade.
Bild: Ralph Ribi
Dieses Wochenende sei ein Testlauf für Ostern, tönte der Bundesrat am Samstag implizit an. Bund und Kantone ermahnten ihre Bürger, doch bitte den Lockrufen der Sonne zu widerstehen und trotz Frühlingsfeuerwerk drinnen zu bleiben. «Wir müssen jetzt stark sein. Das gute Wetter kommt», sagte Bundesrat Alain Berset am Samstag. Der Kanton St.Gallen bedankte sich derweil bereits im Voraus bei seinen Bürgern für die Rücksichtnahme, während der Aufruf «Stay the fuck home» auf Social Media weniger höflich formuliert war.
Einzelne Hotspots zeigen: Viele Ostschweizerinnen und Ostschweizer blieben tatsächlich stark, Temperaturen von 17 Grad und strahlender Frühlingssonne zum Trotz. Andere liessen sich einen Ausflug ans Wasser oder in die Berge nicht nehmen.
Die Kantonspolizei St.Gallen verzeichnete am Samstag und Sonntag über 150 Einsätze im Zusammenhang mit Corona. Mehrere Dutzend Meldungen von Privatpersonen gingen bei den Ordnungshütern ein. Diese betrafen Grillstellen, Schulhausplätze, Spielplätze oder Ufer von Gewässern, wie die Polizei mitteilt. Sanktionen seien aber nur in wenigen Fällen nötig gewesen. Unter anderem wurde ein Solarium geschlossen und ein Wirt verzeigt, weil er seine Gäste weiterhin verköstigte. Während die St.Galler Kantonspolizei bei den Bussen und Verzeigungen Milde walten liess, griffen die Kollegen der Stadtpolizei mit insgesamt 120 Ordnungsbussen rigoros durch.
Im Thurgau rückte die Polizei 100 mal aus. In beiden Appenzell waren es je eine Handvoll Einsätze, wobei die Kantonspolizei Innerrhoden zwar wenige Zuwiderhandlungen, dafür zahlreiche Alpsteintouristen registrierte.
Viel Verkehr in Rorschach: Einzelne führen ihre Schosshunde,
viele ihre Sportwagen aus
Die Rorschacher Strandpromenade war am vergangenen Wochenende eine besonders beliebte Flaniermeile. An diesem Samstagnachmittag bleiben die Parkplätze beim Seerestaurant und Strandbad jedoch leer – gezwungenermassen. Um die Zahl der Sonnenhungrigen am Seeufer zu reduzieren, hat die Stadt Rorschach kurzerhand die beiden Parkplätze gesperrt. Stadtpräsident Röbi Raths machte zudem am Freitag sonnenklar, sollte diese Massnahme nicht ausreichen, werde das Seeufer abgeriegelt. Die Stadt Zürich nahm dieses harsche Mittel längst voraus und sperrte vor zwei Wochen Teile des Seebeckens ab.
Mit Mundschutz und Handschuhen: Zwei Spaziergänger an der Rorschacher Seepromenade.
Bild: Ralph Ribi
Die Drohung zeigt am Samstag Wirkung. Einzelne lassen sich das Flanieren am See zwar nicht nehmen, grosse Menschenansammlungen bleiben jedoch aus. Ein Liebespaar kuschelt sich auf einer Sitzbank zusammen, auf der Arion-Wiese spielen Mutter und Tochter Frisbee, einer führt Pfeife rauchend seinen Mops Gassi. Nur vor dem Glacéstand bildet sich eine Menschentraube.
Der Glacégluscht ist halt doch grösser als die Angst vor dem Virus.
Wer kann, scheint an diesem Nachmittag ohnehin auf Räder auszuweichen. Während die Passanten auf der Seepromenade Abstand halten, reihen sich parallel auf der Hauptstrasse die Autos dicht an dicht. Cabriolets mit geöffnetem Verdeck brausen vorbei, an der Kreuzung heulen die Motoren von tiefer gelegten Sportwagen auf, ein Oldtimer tuckert einer Karawane von Töfffahrern hinterher.
Schmusen verboten: Die Polizei greift bei den drei Weieren durch
Auch die Stadt St.Gallen befürchtete am Freitag unhaltbare Zustände in den städtischen Naherholungsgebieten und rief die Bevölkerung dazu auf, einen Bogen um beliebte Treffpunkte zu machen. Der Freitagabend gab diesen Ängsten Nahrung: Die Stadtpolizei verteilte über 50 Bussen an meist junge Nachtschwärmer, die in zu grossen Gruppen, mit zu wenig Abstand und uneinsichtig unterwegs waren.
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