Zum 25. Mal jährt sich dieses Mal der 9. November, nachdem 1989 die Grenze geöffnet wurde und die Mauer in Berlin fiel. Ein Grund, mich daran zurückzuerinnern:
Als achtjähriger ostdeutscher Bub war ich damals mittendrin. Unsere Heimatstadt Leinfelde lag nicht weit weg von der innerdeutschen Grenze. Gespannte Erwartung, Aufbruchsstimmung, ständige und beharrliche Großdemonstrationen und ein gemeinsamer Wille für Veränderung prägten diese Zeit. Sie war so einschneidend, dass ich mich selbst jetzt noch gut daran erinnern kann. Wir haben auf dem zentralen Platz die Fahne der DDR in einem Sarg symbolisch zu Grabe getragen, ich bin in den Demonstrationszügen mit Kerze in der Hand mitgelaufen. Ich kenne die kilometerlangen Trabikollonnen Richtung Westen. Ich weis noch genau was wir am ersten Abend im Westen (in Duderstadt) gemacht haben und natürlich was ich mir später von unserem Begrüßungsgeld gekauft habe. Der funkferngesteuerte "Knight Rider" funktioniert noch heute.
Es war eine verrückte Zeit voll Offenheit gegenüber wildfremden Menschen. Damals in der Fußgängerzone schenkte mir ein Unbekannter einfach so 10 DM, weil ich aus dem Osten kam. Die Freude über die plötzliche Freiheit der Menschen aus DDR bewegte alle gleichermaßen.
Manche Menschen dachten, die Freiheit würde nicht lange dauern und waren über Nacht Richtung Westen verschwunden. Sie ließen einfach alles zurück, nahmen nur das Notwendigste mit, und waren weg. Gott sei Dank bewahrheitete sich das so nicht. Die Kirchen waren vor und nach dem 9. November immer gut gefüllt und der gemeinsame Glaube gab allen Halt.
Mein Vater, Sören Baumgarten, war damals als Fotograf unterwegs und dokumentierte das Geschehen mit seiner Praktica BX20. Auch das war nicht ganz ungefährlich, gerade bei den Demonstrationszügen. Manche dachten, dass er für die Staatsorgane die beteiligten Menschen ablichtete, damit sie später belangt werden konnten. Er konnte diese Bedenken aber aus der Welt schaffen in dem er erklärte, wie unheimlich wichtig es war, dass jemand das Geschehen und vor allem den Willen der Bürger festhielt. Er fotografierte damals für die Lokalteil der Zeitung "Das Volk", aus der später die "Thüringer Allgemeine" wurde. Manche seiner Bilder aus der Zeit konnten "aus drucktechnischen Gründen" nicht erscheinen, sprich sie wurden zensiert. Das ging soweit, dass einmal eine ganze Ausgabe nicht ausgeliefert wurde.
Ich habe seine damaligen Negative im Keller gefunden und bin gerade dabei diese Schritt für Schritt durch abfotografieren zu digitalisieren. Manches ist leider durch Feuchtigkeit unwiederruflich verloren, vieles ist aber noch brauchbar. Ich habe hier die wichtigsten Bilder rund um den 9. November 1989 angehängt. Unter anderem das, warum die Zeitung nicht erschien. Damit wird es hier zum ersten Mal veröffentlicht!
1. Leinfelde, zentraler Platz: Tag der Grenzöffnung. Jugendliche mit Transparent mit Egon Krenz als Alf. Das Bild sorgte dafür, dass die Zeitung "Das Volk" "aus drucktechn. Gründen" nicht erschien --> Zensur.
Tag der Grenzöffnung001.jpg
2. Leinefelde: Demonstrationszug nach der Kirche auf dem Weg zum zentralen Platz
IMG_3667.jpg
3. Teistungen, Innerdeutsche Grenze: Menschen auf dem Weg nach Gerblingerrode zu Kohls Rede. Links Grenzsoldaten
Innerdeutsche Grenze Teistungen001.jpg
4. Teistungen: Verküdnigung der "Kofferdemo" durch Willibald Böck
Kofferdemo Grenzübergang Teistungen004.jpg
5. Dingelstädt: Großdemo beim alten Heizwerk mit westdeutschen Gästen.
Großdemo Dingelstädt.jpg
Wie sieht es nun heute aus, 25 Jahre nach der Maueröffnung? Anders! Ganz anders! Die Infrastruktur ist wesentlich besser, die hohe Arbeitslosigkeit und die Abwanderung von Menschen in den Westen läßt nach. Der Mittelstand siedelt sich an. Aber leider gibt es auch ehemalige Großbetriebe, die auch nach mehren Anläufen, es nicht geschafft haben in der Marktwirtschaft zu bestehen. Die Baumwollspinnerei in Leinefelde hat z.B. dieses Jahr ihre letzten Mitarbeiter entlassen. Früher der Arbeitgeber der Region und nun zu, der Strukturwandel ist nach wie vor noch nicht abgeschlossen.
Was ist mit den Menschen? Mein Gefühl ist, dass in der direkten Grenzregion das typische Ossi-Wessi-Klischee weit verbreitet ist. Es wird dort sicher noch etwas länger dauern, bis die intuitive Trennung zwischen Ost- und West endlich aufhört und man sich als gemeinsame Deutsche sieht. Die Generation von 1990 ist davon schon weitgehend frei, da sie ja die DDR nicht mehr miterlebt hat.
Wie habt ihr die Wende erlebt?
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